Genisa-Funde


Bearbeitet von:

Prof. Dr. Andreas Lehnardt
Johannes Gutenberg-Universität
Fachbereich 01
Evangelisch-Theologische Fakultät
55099 Mainz 
Tel. 06131 39-20312 andreas.lehnardt@uni-mainz.de
www.blogs.uni-mainz.de/fb01genizatniederzissen/

Weitere Genisot:

Genisa Alsenz
Genisa Bruttig
Genisa Hüttenheim
Genisa Weisenau

Behördenschreiben


Bibel


Die als normativ für die eigene Religion geltenden Bibeltexte werden im Judentum als Tanakh bezeichnet. Der Tanakh besteht aus den drei Teilen Tora („Weisung”), Nevi’im („Propheten”) und Ketuvim („Schriften”). TNKh ist das Akronym der Anfangsbuchstaben dieser Teile. Er enthalten insgesamt 24 Bücher. Der Tanakh entstand als Sammlung verschiedener religiöser und profaner jüdischer Schriften in einem komplexen Kanonisierungsprozess. Seine ältesten Bestandteile sind mündlich überlieferte Sagenkränze, Ätiologien und Herkunftssagen einzelner Sippen und Stämme. Diese wuchsen allmählich zusammen, wurden später aufgezeichnet und in eine theologisch konzipierte Heilsgeschichte integriert.

Bibelkommentar


Als Bibelkommentar werden Erläuterungen und zeithistorische Erklärungen zu einzelnen Büchern der Bibel bzw. zu spezifischen Bibelübersetzungen bezeichnet. Neben dem Bibeltext enthalten sie oft auch Querverweise auf ähnliche Bibelstellen, sowie inhaltliche Deutungen auf Basis einer traditionellen Exegese. Bibelkommentare dienen neben theologischen Zwecken auch dem persönlichen Bibelstudium oder als Einleitung zu den verschiedenen Büchern der Heiligen Schrift. In ihrem Umfang reichen sie von Taschenbüchern bis zu mehrbändigen Werken.

Buchdeckelreste


Auch wenn sie sich in den meisten Fällen nicht mehr einzelnen Titeln zuordnen lassen, bieten die gefundenen Buchdeckelreste interessante Einblicke in den Umgang mit meist religiöser Literatur. Auf vielen Deckelinnenseiten finden sich Zeichnungen, Vorbesitzervermerke oder schlicht Kritzeleien, die erahnen lassen, dass mancher Synagogenbesuch vielleicht nicht so erbaulich war. Auch christliche Buchreste befinden sich unter den Deckeln.

Bündel


Lose Blätter von Gebetbüchern oder Bibeln sowie sonstige Schriften religiösen oder profanen Inhalts wurden gesammelt und gebündelt der Genisa übergeben. In Niederzissen haben sich ca. 24 solcher mehr oder weniger intakter Bündel erhalten. Teilweise befanden sich in den Bündeln neben Schriftstücken auch Gebetsriemen und -kapseln. Den eigentlichen Vorgang der sorgfältigen Aufbewahrung und geordneten Ablage in einer Genisa spiegeln Bündel eindrucksvoll wider.

Eheverträge (Ketubbot)


Im orthodoxen Judentum definiert der in aramäischer Sprache verfasste Ehevertrag (Ketubba) die Verpflichtung des Ehemanns gegenüber seiner Gattin. Er verpflichtet sich darin, ihr Unterstützung, Ernährung, gesundes Leben und Freude zu sichern. Im engeren Sinne enthält die Ketubba die Rechte der Frau, zu denen sich der Ehemann verpflichtet (drei Rechte): 1. Unterhalt (Sche´era), 2. Bekleidung (Kesuta), 3. Geschlechtsverkehr (Onta). Die Ketubba regelt auch die finanzielle Absicherung der Frau im Falle einer Scheidung oder des Todes des Mannes.

Erzählliteratur


Neben religiöser Literatur finden sich zahlreiche Titel, vor allem in jddischer Sprache, die im weitesten Sinne der Erzählliteratur zugerechnet werden können. Die Lektüre solcher teils profaner Literatur verbreitete sich mit der Einführung des Buchdruckes. Unter den identifizierten Blättern finden sich häufig erbauliche Werke wie das berühmte Ma’ase-Buch, die trotz ihres unkonventionellen Stils vor allem darauf abzielten, religiöse Inhalte zu vermitteln.

Gesundheits- und Ursprungsscheine


Haggada


Die Haggada ist die Erzählung und liturgische Handlungsanweisung samt Gesängen für den ersten Abend von Pesah (Sederabend). Die Pesah-Haggada ist ein mitunter bebildertes Büchlein, aus dem beim Festmahl mit der Familie gemeinsam gelesen und gesungen wird. Es ist teils auf Aramäisch, teils auf Hebräisch verfasst (heute meist mit Übersetzung und Erklärungen in der Landessprache) und beschreibt die im Buch Exodus geschilderten Vorgänge: das Exil in Ägypten und den Auszug in die Freiheit. Dazu kommen traditionelle rabbinische Ausschmückungen und Auslegungen dieser Geschichte sowie das Hallel.

Halakha


Halakha bezeichnet die feststehende Norm, Regel, Satzung, der ursprünglich mündlichen und später schriftlich fixierten jüdischen Überlieferung. Halakha regelt das jüdische Leben in allen Bereichen. Dementsprechend gingen aus der Auslegung mit der mündlichen Überlieferung zahlreiche auslegende und kommentierende Werke hervor. In einem vereinheitlichenden Prozess entstanden schließlich Gesetzeskodizes und Halakha-Sammlungen, die bis in die Gegenwart fortgeschrieben werden.

Hebräische Manuskripte


Jiddisch


Jiddisch ist eine rund tausend Jahre alte Sprache, die von den aschkenasischen Juden in weiten Teilen Europas gesprochen und geschrieben wurde und von einigen ihrer Nachfahren bis heute gepflegt wird. Es ist nach allgemeiner Meinung eine aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangene westgermanische, mit hebräischen, aramäischen, romanischen, slawischen und weiteren Sprachelementen angereicherte Sprache, die mit hebräischen Schriftzeichen geschrieben wird und neben Hebräisch und Aramäisch eine der Hauptsprachen des Judentums bildet. Sie wird üblicherweise in West- und Ostjiddisch aufgeteilt. Die jiddische Sprache hat sich im Mittelalter aufgrund der meist durch christliche Verfolgungen bedingten Migrationen der Juden vom deutschsprachigen Gebiet aus in Europa verbreitet, besonders ostwärts, wo das Ostjiddisch entstand. Jiddisch war bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland verbreitet, wovon die zahlreichen jiddischen Drucke aus der Genisa zeugen.

Kalender


Der jüdische Kalender ist ein Lunisolarkalender, d.h. die Monate werden nach dem Mond berechnet und das Jahr nach der Sonne. Die Monate sind wie bei einfachen Mondkalendern an den Mondphasen ausgerichtet. Neben einem Normaljahr mit 12 Mondmonaten (ordentlich 354 Tage lang) gibt es Schaltjahre mit 13 Mondmonaten (ordentlich 384 Tage lang) zur Angleichung an das Sonnenjahr. In einem neunzehnjährigen Zyklus wird sieben Mal (in jedem 3., 6., 8., 11., 14., 17. und 19. Jahr) ein zweiter Monat Adar (Adar Sheni/ Adar Bet) eingefügt, sodass das Schaltjahr 383, 384 oder 385 Tage hat. Die kalendarischen Ausnahmeregeln können somit zur Verlängerung oder Verkürzung der normalen Jahreslängen um jeweils einen Tag führen. Das jüdische Jahr beginnt heute im Herbst mit dem Monat Tischri, der nach jüdischer Auffassung der Monat ist, in dem die Menschheit erschaffen wurde. In biblischer Zeit begann das Jahr mit dem Nisan im Frühjahr. Der Nisan ist der Monat der Erlösung, in dem die jüdischen Vorfahren aus Ägypten auszogen. Die Tatsache der Erlösung wird auch heute noch höher bewertet als die der Schöpfung, indem beim religiösen Gebrauch des jüdischen Kalenders der Nisan weiter als erster, der Tischri aber erst als siebter Monat des Jahres bezeichnet wird. Die hebräischen Monatsnamen sind akkadisch und stammen aus der Zeit des babylonischen Exils.

Kindbettzettel


Kindbettzettel wurden zum Schutz vor plötzlichem Kindstod über das Bett eines Kindes gehängt. Der plötzliche Kindstod wurde meist dadurch erklärt, dass Lillit in den Kinderzimmern erscheint, um die Kinder zu sich zu nehmen. Lillit wird in der jüdischen Überlieferung als die erste Frau Adams bezeichnet, die aber, weil sie sich Adam nicht unterordnen wollte, aus dem Paradies verbannt wurde. Als Vergeltung sucht sie bis auf den heutigen Tag die Neugeborenen heim.

Lehr- und Wandtafeln


Aus verschiedenen Anlässen können wichtige Gebete oder Segenswünsche auf einseitig bedruckten Blättern in der Synagoge oder in Privaträumen aufgehängt werden. Verbreitet ist der Brauch, die Gebetsrichtung nach Jerusalem durch einen so genannten Misrach kenntlich zu machen. Die Wände einer Sukka, einer Laubhütte, schmückt man mit Segenssprüchen, und gelegentlich wurden einzelne Gebete oder Psalmen auch über das Bett von Kranken oder Kindern aufgehängt.

Mahzor


Mahzor ist die hebräische Bezeichnung für Zyklus, insbesondere für den Zyklus der jüdischen Feiertage. Im speziellen Sinne handelt es sich um ein Gebetbuch mit Gebeten und Bibelstellen, die an den Feiertagen zu rezitieren sind (im Unterschied zum Siddur mit den Gebeten für Wochentage und Shabbatot).

Minhagim


Minhag bedeutet Brauch oder Brauchtum. Im Rahmen dieser Bedeutung gibt es zahlreiche Nuancen. Zum einen als Gebräuche, die in der Praxis allgemein angewendet werden und als Halacha bindende Kraft erlangt haben. Zum anderen als lokal begrenzte Gebräuche, deren Geltungskraft sich auf ein Land oder eine spezifische Gemeinde beschränkt. Die Frage, ob solche lokale Minhagim auch für Juden gelten, die aus einem anderen Ort stammen, wird im Talmud und in den Gesetzestexten ausführlich behandelt. Jedoch kann der Begriff “Minhag” auch für liturgische Riten verwendet werden, die sich in bestimmten Regionen entwickelt haben. Beispiele: aschkenasischer Minhag, sefardischer Minhag, polnischer Minhag.

Mohelbuch


Ein Mohelbuch wird von einem Beschneider (Mohel) angelegt, um die von ihm vorgenommenen Beschneidungen (Brit Mila) festzuhalten. In der Zeit vor der standesamtlichen Erfassung mussten Juden gegen eine Zahlung ihre Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle in christliche Pfarrbücher eintragen lassen. Diese Pfarrbücher sind allerdings oft sehr lückenhaft, daher sind die Daten und Namen in den Verzeichnissen der Mohelbücher wichtige Quellen.

Musar


Als Musar-Literatur wird eine über viele Jahrhunderte gewachsene ethisch-moralische Literatur bezeichnet. Sie diente anfänglich dazu, moralische und geistige Werte (Musar) einer breiten Leserschaft nahe zu bringen und nahm dafür unterschiedliche philosophische und kabbalistische Vorstellungen auf. In der Neuzeit entwickelte sich auf Basis einer breiten mittelalterlichen Überlieferung eine Vielzahl von Werken, die teils auf Hebräisch, teils auf Jiddisch die klassischen Texte popularisierte, wobei die Gattungsgrenzen zur Minhag-Literatur und zu den Rechtskodizes fließend blieben.

Kinderzeichnungen


Sefer ha-Hayyim


Der Sefer ha-Hayyim ist ein Werk von Simon Frankfurt ben Israel Jehuda, der bis zu seinem Tod im Jahr 1712 in Amsterdam lebte. Das Buch erschien erstmals posthum 1714 zur Hälfte in hebräischer und jiddischer Sprache. Es beinhaltet Gebete und Vorschriften bei Krankenbesuchen, bei Besuchen am Sterbebett und über das Verhalten im Trauerfall.

Siddur


Siddur ist die übliche Bezeichnung für das jüdische Gebetbuch für den Alltag und den Sabbat. Aschkenasische und sephardische Siddurim unterscheiden sich, wenn auch nicht erheblich, ebenso gibt es Unterschiede je nach örtlichem Ritus und Denomination. Siddur bedeutet Ordnung und bezeichnet die Ordnung und Reihenfolge der Gebete. Ein Siddur enthält die Gebete für den Alltag und den Sabbat, das sind das Morgen- (Schacharit), Nachmittags- (Mincha) und Abendgebet (Ma´ariw) und das Musafgebet, das nur am Sabbat und an Feiertagen rezitiert wird. Daneben enthält der Siddur Segenssprüche, die in der Synagoge oder zuhause rezitiert werden, und Gebete für besondere Anlässe sowie die wichtigsten Gebete für die hohen Feiertage. Die Gebete sind im tradierten hebräischen Text mit Vokalisierung gedruckt, vielfach mit Übersetzungen in der jeweiligen Landessprache, im Reformjudentum werden je nach Denomination mehr oder weniger Gebete nur in der Landessprache gebetet.

Talmud


Talmud bedeutet Lehre bzw. Studium und beinhaltet Sammlungen ursprünglich mündlicher Lehren. Dem Talmud zugrunde liegt die Mischna, die in der Gemara (wörtl. Abschluss) kommentiert und ergänzt wird. Der Talmud liegt in zwei Fassungen vor, dem Babylonischen (Bavli) und dem Jerusalemer beziehungsweise Palästinischen (Yerushalmi). Der klassische Druck samt Kommentaren erschien 1880-1886 in Wilna; er basiert auf dem Erstdruck Venedig 1520-1523. Später wurden zahlreiche kleinere Drucke herausgegeben, häufig auch nur von einzelnen Traktaten.

Talmudkommentare


Im Babylonischen Talmud ergänzen schließlich die Kommentare aus dem Mittelalter. Im klassischen Druck finden sich zahlreiche mittelalterliche Kommentare. Grundlegend ist der von Raschi (Rabbi Shlomo ben Yishaq) verfasste Kommentar, der im 11. Jahrhundert in Frankreich (Troyes) und Deutschland (vor allem Mainz und Worms) entstanden ist. Daneben finden sich Zusätze seiner Enkel und Schüler, die so genannten Tosafot. Die ständige Fortentwicklung der Tradition und ihrer Auslegungsgeschichte durch Diskussionen, Kommentare und Analysen prägt den durchgängig dialektischen Stil des Talmud. Das bevorzugte Mittel der Darstellung ist der Dialog zwischen verschiedenen rabbinischen Gelehrten, der am Ende zu einer bindenden Entscheidung führt und den maßgeblichen Stand der Tradition wiedergibt.

Tehinnot


Seit dem 17. Jahrhundert verbreiteten sich im aschkenasischen Judentum Sammlungen mit Bußgebeten für besondere Gedenktage und Anlässe, die als Seder Tehinnot (Ordnung der Klagen bzw. Bitten) bezeichnet werden. Einige dieser Sammlungen sind sogar von Frauen verfasst worden. Im Laufe der Zeit bildeten umfangreiche Zusammenstellungen von zum Teil frei formulierten Gebeten, die dann unterschiedlichen Ausgaben der Siddurim oder Mahzorim beigebunden wurden. Viele der in der Genisa erhaltenen Blätter mit Tehinnot (jidd. Tehinnes) können daher nicht mehr exakt zugeordnet und nur annähernd datiert werden.

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