Brief des jüdischen Soldaten Schmuel Doderer


Das Gebiet der Synagogengemeinde Niederzissen war nach den Napoleonischen Kriegen ab 1794 unter französischer Herrschaft, die allen dort lebenden Juden gleiche Rechte gewährte. Dazu gehörte die Wehrpflicht. Ein Brief an seine Eltern von 1807 belegt, dass auch Schmuel Doderer aus Niederzissen in der französischen Armee gedient hat. Schmuel war in Boulogne-sur-Mer stationiert, zog dann mit seinem Regiment bis nach Spanien, wo er vermutlich Ende 1808 in einem Lazarett verstarb. Der Brief verrät uns aufgrund der hebräischen Schrift, des jüdischen Datums und der Erwähnung von Jom Kippur, dass Schmuel im Judentum verankert war. Das Besondere an dem Brief ist seine künstlerische Ausgestaltung. Er ist mit einer kolorierten Tuschezeichnung dekoriert, die einen Soldaten mit Säbel und Blumen neben dem Militärlager stehend zeigt. Die Darstellung drückt Schmuels Stolz aus, als Jude im französischen Heer dienen zu dürfen.

Titel: Brief des jüdischen Soldaten Schmuel Doderer
Datierung: 15. November 1807
Material: Papier, farbige Tusche, bemalt und handschriftlich beschrieben
Maße: 19,5 x 15 cm
Urheber: Schmuel Doderer

Transkription des Briefes (Das Original ist auf Deutsch in hebräischer Schrift verfasst)

Hier, Bollenheim, am Sonntag, den 14. Marcheschvan, 568 nach der kleinen Zählung. [d.i. 15. November 1807] [rechts neben Zeichnung] Hier könnt Ihr mich sehen, wie ich gekleidet bin, und dort könnt Ihr unser Zelt sehen, wo wir drinnen sind. Schalom meinem geliebten Herrn Vater, meinem Lehrer, dem sehr geehrten Herrn und Fürsten und Vorsteher, Herr Moshe, Gott möge ihn schützen und bewahren, und meiner Mutter Frau Ranchi, möge sie lange leben und stärken.

Herzlich liebe Eltern. Ich muss Euch schreiben, dass ich noch –mit der Hilfe Gottes – bei guter Gesundheit bin. Ich verhoffe, es wird bei Euch auch nichts fehlen –bis hundert Jahre [sollt ihr leben] – Amen. Und weil sich jetzt so eine schöne Gelegenheit ergibt, muß ich meinen Eltern schreiben. Ich habe diese drei Briefe bekommen, die Du mir geschickt hast. Diese Briefe habe ich am Erev Jom Kippur bekommen [am Vorabend des Versöhnungstages; 11. Oktober 1807]. Damals war dieser Brief schon auf der Post, den ihr das letzte Mal von mir bekommen habt. Chadoschim [Neuigkeiten] kenne ich wenig, denn ein gemeiner Soldat wird nicht gewahr. Und so verhoffen wir Tag für Tag hier weg zu kommen; und wenn wir den Winter hier bleiben, dann stehen wir auch noch viel Kälte aus. Ich verhoffe nichts anderes, Ihr werdet mir schreiben, wie ihre Hochzeit gewesen ist; ob auch viele Leute dabei gewesen sind; ob er auch viele Geschenke bekommen hat. Ich erhoffe, mein Schreiben wird Euch nicht zur Überlastung sein, denn ich denke, es wird bei Euch sein, wie mir auch. Ihr könnt mir keine größere Freude antun, als wenn Ihr mir öfter mal schreiben tut. Weiter verbleibe [ich], Euer getreuer Sohn, der Geringe Schmul, Sohn des Herrn Moshe, Niederzissen.

(Transkription von Nathaniel Riemer, Universität Potsdam und Gerd Friedt)

Weiterführende Literatur:
Brunhilde Stürmer/Brigitte Decker: Ein langer Weg. Die Geschichte der jüdischen Familien der Synagogengemeinde Niederzissen im Brohltal. Herausgegeben vom Kultur- und Heimatverein Niederzissen e. V., Niederzissen 2017.
Nicolas Coiffait: Sur les traces du soldat Schmul, in GenAmi Nr. 95, März 2021: