Grundeinkommen für alle: Viele Infos in Niederzissen
Soziale Ausstellung zeigt, wie diese Idee in Namibia ein ganzes Dorf verändert hat
Von unserem Mitarbeiter Hans-Willi Kempenich
Niederzissen. Die Idee ist faszinierend, das daraus erwachsene Projekt beeindruckend: ein Grundeinkommen für alle, wobei dessen Bezug an keinerlei Bedingung geknüpft ist. In Otjivero-Omitara, einem Dorf in Namibia, wurde die Idee umgesetzt. Eine Fotoausstellung, die schon in zahlreichen deutschen Städten unterwegs war und jetzt in der ehemaligen Synagoge in Niederzissen eröffnet wurde, bilanziert die Unternehmung und schürt gleichzeitig ein wenig Hoffnung.
„An manchen Tagen haben wir gar nichts zu essen, dann legen wir uns einfach so schlafen und stehen wieder auf, ohne zu essen“, sagte Emilia Garises, eine Frau aus Otjivero-Omitara, im Juli 2007. Fünf Jahre zuvor hatte eine namibische Regierungskommission ein Basic Income Grant (BIG), also ein steuerfinanziertes Grundeinkommen, vorgeschlagen. Eine breite Koalition aus Kirchen, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Aids-Hilfe-Projekten und zwei Sozialforschungsinstituten bildete sich, um die Idee zu verwirklichen.
Doch die namibische Regierung konnte sich nicht zu einer Entscheidung durchringen. Aber die BIG-Koalition handelte und beschloss ein zweijähriges Pilotprojekt in Otjivero-Omitara: Alle Einwohner unter 60 Jahre erhielten in den Jahren 2008 und 2009 ein bedingungsloses Grundeinkommen von 100 Namibiadollar pro Monat (etwa 10 Euro). Finanziert wurde das Projekt von kirchlichen Organisationen, Aktionsgruppen und Einzelpersonen.
Vor der Einführung des BIG war Otjivero-Omitara von Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger gezeichnet. Die Einführung des BIG setzte Hoffnung frei, die Dorfgemeinschaft reagierte, indem sie ein 18-köpfiges Komitee gründete, um die Bevölkerung zu beraten und zu mobilisieren, wie das BIG-Geld gut eingesetzt werden könnte.
Und in der Tat: Nach der BIG-Einführung sank die Nahrungsmittelarmutsgrenze von 76 auf 37 Prozent, obwohl von BIG angezogene Zuwanderer das Ergebnis verwässerten. In Haushalten ohne Zuwanderer sank die Armutsgrenze sogar auf 16 Prozent.
Extremes Untergewicht bei Kindern sank von 42 Prozent im November 2007 in einem Jahr auf 10 Prozent. Die Zahl der Kinder, die aus finanziellen Gründen nicht die Schule besuchten, ging um 42 Prozent zurück, die Abbruchquote fiel von knapp 40 Prozent im November 2007 fast auf null.
Gleichzeitig schuf BIG Chancen für kleine Unternehmungen: Joseph Ganeb begann, Ziegel zu produzieren, Frieda Nembwayas Tochter backte und verkaufte Brötchen, andere nähten Kleider oder produzierten Eis am Stiel. Die Zahl der Selbstständigen verdreifachte sich binnen eines Jahres. „BIG hat Leben in unser Dorf gebracht. Jeder kann sich Essen leisten. Man sieht keine Menschen mehr um Essen betteln wie in der Vergangenheit“, heißt es in einer Zwischenbilanz der Bewohner von Otjivero-Omitara.
Aber: Das Projekt lief Ende 2009 aus. Bis Mitte 2015 erhielten die Bezieher ein Überbrückungsgeld aus Spendenmitteln. Doch die Fortfinanzierung funktioniert nicht so richtig. Ohne BIG ist es schwierig, die kleinen Geschäfte zu erhalten. Hinzu kommt, dass mehr Menschen nach Otjivero-Omitara gezogen sind und das Grundeinkommen immer weiter geteilt wird.
Doch die Hoffnung trägt einen Namen: Hage Geingob. Er hatte sich 2008 als Wirtschaftsminister für das BIG-Projekt ausgesprochen und ist seit März 2015 Präsident von Namibia. Zwar hat er das Thema noch nicht erneut aufgegriffen, aber immerhin ein Ministerium für Armutsbekämpfung und Sozialwohlfahrt geschaffen. Und er hat mit dem emeritierten Bischof Zephania Kameeta einen wichtigen Befürworter und Begleiter des Projektes zum Minister gemacht. Im Februar 2016 kündigte Zameeta an, dem Kabinett einen Vorschlag zur landesweiten Einführung eines Grundeinkommens vorzulegen. Die finanzielle Dimension: 1,2 bis 1,6 Milliarden Namibia-Dollar, etwa 2,2 bis 3 Prozent des namibischen Bruttosozialproduktes. Nach Niederzissen kam die Ausstellung auch auf Initiative von Gernot Reipen aus Glees, der, ebenso wie Richard Keuler, Vorsitzender des Kultur- und Heimatvereins, zur Eröffnung sprach.
Die Ausstellung ist bis Samstag, 24. Februar, täglich von 15 bis 19 Uhr in der ehemaligen Synagoge zu sehen. Dort gibt’s am Samstag, 24. Februar, 19 Uhr, eine Podiumsdiskussion zum Thema Grundeinkommen. Der Eintritt ist frei.
Rhein-Zeitung Kreis Ahrweiler vom Donnerstag, 16. November 2017, Seite 18
Die Vertreter der Bonner Initiative Grundeinkommen zusammen mit den Gastgebern aus dem Brohltal: Rolf Hans (von links), Richard Keuler, Ulrich Buchholz, Manfred Rubba, Gernot Reipen, Günter Pohl und Johannes Bell. Foto: Hans-Willi Kempenich