Erinnerung und Gedenken brauchen Zukunft

Netzwerktreffen mehrerer Initiativen aus Rheinland-Pfalz in der Ehemaligen Synagoge Niederzissen

Martin Ingenhoven

Niederzissen. Die Zeitzeugen, die die Verbrechen der Nationalsozialisten noch selbst erlebt haben, sterben langsam aber sicher aus. Bald wird niemand mehr aus erster Hand von jenen Gräueln berichten können, unter denen Millionen Menschen zu leiden hatten; viele von ihnen fanden einen fürchterlichen Tod. Doch wie kann das „Nie wieder“, das allerorten immer wieder zu hören ist, in die Zukunft gerettet werden? Wie können Erinnerung und Gedenken an die nächste Generation weitergegeben werden? Mit dieser Frage beschäftigen sich deutschlandweit eine Reihe von Initiativen. In Niederzissen trafen sich jetzt Vertreter von Gedenkinitiativen des nördlichen Rheinland-Pfalz zum Austausch und zur Vernetzung.
Verbandsgemeindebürgermeister Johannes Bell, als Vertreter der gastgebenden Verbandsgemeinde Brohltal, lobte in seiner Begrüßung die Arbeit des Niederzissener Kultur- und Heimatvereins rund um die alte Synagoge. „Bilder und Videos, wie wir sie aus Sylt und auch hier aus der Grafschaft gesehen haben, müssen uns aufrütteln“, mahnte Bell. Die Protagonisten dieser Aufnahmen seien Teil einer gesellschaftlichen Elite, was besorgniserregend sei. „Diese Aufnahmen müssen uns wachrütteln“, so Bell weiter. Initiativen wie die in Niederzissen trügen durch ihre Arbeit dazu bei, dass sich Geschichte eben nicht wiederhole. „Bitte machen Sie weiter, auch wenn ihre Arbeit nicht von allen wertgeschätzt wird“, mahnte Bell eindringlich alle anwesenden Vertreter von Erinnerungs- und Gedenkinitiativen zwischen Nahe und Ahr.
Jemand, der die Arbeit der Synagogenvereine im nördlichen Rheinland-Pfalz definitiv zu schätzen weiß, ist Christoph Simonis. Der Zahnarzt ist Mitglied der jüdischen Gemeinde Koblenz und regelmäßiger Gast in Niederzissen. Er berichtet: „Viele unserer Mitglieder haben den Eindruck, dass jüdisches Leben in Deutschland nicht einfacher wird.“ Daher müsse man aus Erinnerungskultur eine Zukunftskultur machen.
Dies probiert man beispielsweise auf dem Hunsrück in Laufersweiler. Für den Förderkreis der dortigen Synagoge nahm Carolin Manns an dem Vernetzungstreffen teil. Ziel ihres Vereins ist unter anderem die Dokumentation jüdischen Lebens auf dem Lande. Dass dies nicht nur in einer analogen Ausstellung mit Schautafeln gut funktioniert, beweist eine frei zugängliche Unterrichtseinheit in drei Teilen. „Unsere Reihe ‚Vom Boykott zum Mord‘ hat ihren Ursprung in der Corona-Zeit, als Präsenzunterricht lange nicht möglich war“, erzählt Carolin Manns.
Anhand des Schicksals des Laufersweilerer Juden Henry Joseph zeichnet die Reihe den Weg von der Entrechtung jüdischer Mitbürger bis zum planmäßigen Massenmord nach. „Wir mussten uns in der Corona-Zeit überlegen, wie wir mit unserer Arbeit nach außen treten. Nach einer Reihe digitaler Experimente ist die Unterrichtsreihe eins der Ergebnisse, das sich sehen lassen kann“, so Manns weiter. Gerade der regionale Bezug sei wichtig, um die Erinnerung wachzuhalten. „Die Verbrechen sind eben nicht nur in Berlin passiert, sondern auch hier in der Provinz“, ergänzte Richard Keuler.
Auf einen lebensnahen Bezug der Erinnerungsarbeit setzt auch der Historiker Rainer Vitz. Der Stadtführer ist aktiv im Vorstand des Förderkreises Ehemalige Bruttiger Synagoge. „Uns ist es wichtig, Juden nicht nur als museales Subjekt der Geschichte in ihrer Opferrolle zu zeigen. Vielmehr möchten wir das Judentum als lebendigen und aktiven Bestandteil unserer Gesellschaft hervorheben.“ So habe man im vergangenen Jahr gemeinsam mit Mitgliedern der jüdischen Kultusgemeinde Trier ein koscheres Abendessen mit Klezmermusik angeboten (die RZ berichtete). Außerdem bietet die Bruttiger Synagoge Raum für Theaterstücke, Lesungen und Konzerte.
Mit dem Verlauf des ersten Vernetzungstreffens ist Ausrichter Richard Keuler zufrieden. „Es ist überaus positiv, dass ein solches Vernetzungstreffen nun endlich stattgefunden hat. In besonderem Maße freut es mich, dass die Vertreter des Emil-Frank-Instituts in Wittlich zugesagt haben, das nächste Treffen auszurichten.“ Ein Thema für das nächste Treffen sei auch schon gefunden, ein Mitarbeiter des Instituts werde einen Vortrag zur jüdischen Besiedlungsgeschichte der Eifel halten, so Richard Keuler, der sich sichtlich freut, dass seine Vernetzungsinitiative keine Eintagsfliege bleiben wird, wie er selbst sagt.

Bilduntertext: Richard Keuler (hinten Mitte) freute sich sichtlich, dass viele Erinnerungsinitiativen seiner Einladung zu einem Vernetzungstreffen in Niederzissen gefolgt waren. Foto: Martin Ingenhoven

Mittwoch, 12. Juni 2024, Rhein-Zeitung Kreis Ahrweiler, Seite 24