Feierstunde: Zehn Jahre ehemalige Synagoge

Lob für Niederzissener Stätte der Erinnerung, Begegnung, Kultur und des Lernens

Von Hans-Willi Kempenich

Niederzissen. „Now I have a family in Niederzissen” – jetzt habe ich eine Familie in Niederzissen. Mit diesem bewegenden Satz sorgte Harvey Berger, ein erfolgreicher Anwalt aus San Diego (Kalifornien), am 18. März 2012 bei seiner Ansprache anlässlich der Eröffnung der ehemaligen Synagoge in Niederzissen als Erinnerungs- und Begegnungsstätte für feucht-schimmernde Augen. Berger ist der Enkel des letzten Vorstehers der jüdischen Gemeinde Niederzissen, des von den Nationalsozialisten ermordeten Karl Berger, und war vor zehn Jahren mit seiner ganzen Familie eigens für diesen besonderen Tag nach Niederzissen gekommen.

„Wir wollen auch in Zukunft Partner dieses Hauses sein. Denn jüdisches Leben hat seinen Platz auch mitten in unserem Leben.“

Daniel Stich, Ministerialdirektor im Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit

An die emotionale Aussage des Gastes aus den USA erinnerte Richard Keuler, der Vorsitzende des Kultur- und Heimatvereins (KHV) Niederzissen, als jetzt mit zahlreichen Gästen das zehnjährige Bestehen der Einrichtung gefeiert wurde. Auch Keuler hatte als damaliger Niederzissener Ortsbürgermeister bei der Eröffnungsfeier einen Satz ausgesprochen, der in Erinnerung blieb: „Wer hätte das, was wir heute erleben, ernsthaft für möglich gehalten?“ Damit sprach er die teilweise erbitterten Diskussionen an, die dem Start des Projektes vor einem Jahrzehnt vorausgingen.

Längst sind die Kritiker verstummt. Die ehemalige Synagoge ist als Stätte der Erinnerung und Begegnung, des Lehrens, Lernens und der Kultur ein Aushängeschild der Gemeinde, ein wahres Leuchtturmprojekt für die Region. Das machten die Festredner und Gratulanten unisono deutlich: „Tief beeindruckt von der Aura dieses Raumes“ zeigte sich Ministerialdirektor Daniel Stich vom Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit, der zum ersten Mal zu Gast in der ehemaligen Synagoge war und ein Versprechen abgab: „Wir wollen auch in Zukunft Partner dieses Hauses sein. Denn jüdisches Leben hat seinen Platz auch mitten in unserem Leben.“

Für Avadislav Avadiev, den Vorsitzenden des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Rheinland-Pfalz, ist der Betrieb der ehemaligen Synagoge in seiner jetzigen Form ein Beispiel für gelungene Friedensarbeit. „Gedenkorte wie dieser sind notwendig für die Bewältigung der Vergangenheit und für die Gestaltung der Zukunft“, meinte Dieter Burgard, der Beauftragte der Ministerpräsidentin für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen. Das Haus sei mehr als nur ein Gebäude, sagte Kreisbeigeordnete Christina Steinhausen. Sie werde gerne die Kontakte herstellen, damit die ehemalige Synagoge von den Kreisschulen noch intensiver als Lernort genutzt werde.

„Wer hätte geglaubt, was sich hier in zehn Jahren entwickelt hat?“, fragte VG-Bürgermeister Johannes Bell in die Runde. Besonders erfreulich sei es, dass die Fundstücke vom Dachboden des ehemaligen Gotteshauses erhalten blieben. Das habe der ehemaligen Synagoge zu internationaler Aufmerksamkeit verholfen.

Ein bestens gelungenes Beispiel für die schulische Nutzung der Einrichtung präsentierte Anne Wagner, wohnhaft in Niederzissen und Lehrerin an der Schönstätter Marienschule Vallendar, mit vier ihrer Schülerinnen. Anabell, Lavinia, Sophia und Melanie zeigten ein selbst gedrehtes Video, trugen einen Text in englischer und deutscher Sprache vor und riefen zu mehr religiöser Toleranz auf. „Es war eine tolle Erfahrung, das Projekt mit den Mädchen anzugehen. Und sie bei der Präsentation zu sehen, war einfach großartig“, berichtete Anne Wagner anschließend voller Stolz auf ihre Zehntklässlerinnen.

Und dann kam noch etwas, das vordergründig betrachtet gar nicht in den Rahmen passte: die Überreichung eines Karnevalsordens. Bei genauerem Hinsehen und mit der Kenntnis des Hintergrundes waren aber gleich alle Zweifel beseitigt. Denn bei den Zesse Jecke ist es seit langen Jahren ein schöner Brauch, als Motive für den Sessionsorden ortsbildprägende Gebäude oder Kulturdenkmäler zu nehmen. Vor zwei Jahren fiel die Wahl auf die ehemalige Synagoge – aber: Die Session fiel aus. Folglich wurde auch kein Orden verliehen. Das holten Dagmar Bröker und Axel Weirich von der KG jetzt nach und hängten Richard Keuler nicht nur den Orden um, sondern überreichten ihm auch ein großformatiges Bild der Auszeichnung als Wandschmuck.

Die hervorragende musikalische Begleitung der gelungenen Veranstaltung lieferten übrigens Thomas Peters und Greg Wolf als Duo „Klezfluentes“.

Untertext: Von der Aura des Raumes zeigte sich Ministerialdirektor Daniel Stich tief beeindruckt. Ein gelungenes Beispiel für die schulische Nutzung der ehemaligen Synagoge präsentierten Anne Wagner und ihre Schülerinnen in der Feierstunde. Fotos: Hans-Willi Kempenich

Donnerstag, 12. Mai 2022, Rhein-Zeitung Kreis Ahrweiler, Seite 19